an die Bootfahrer unter uns Clousis.... ;))

CLOU-FREUNDE

Geschrieben von Dieter (DL9KCL) am 03. März 2005 14:28:55:

Schadensbericht eines britischen Kapitäns an seine Reederei

Sehr geehrte Herren,
mit Bedauern und in Eile schreibe ich Ihnen diesen Bericht. Mit Bedauern, weil ein so kleines Missverständnis solche Auswirkungen haben kann. In Eile, damit Sie diesen Brief erhalten, bevor Sie sich ein Vorurteil aus Presseberichten bilden, die den Vorfall sicherlich in übertriebener Weise dramatisieren.

Wir hatten gerade den Lotsen übernommen, und der neue Offiziersanwärter kam vom Peildeck herunter, wo er die Lotsenflagge „H“ gegen die Flagge „G“ ausgetauscht hatte. Es ist seine erste Reise, daher machte ihm das Auftuchen der Flagge „G“ Schwierigkeiten. Ich ging also hin und zeigte ihm, wie man die Flagge aufrollt, während er das andere Ende der Flagge festhielt. Beim letzten Zipfel sagte ich zu ihm „lass los – let go!“ Der Kerl, der zwar willig war, aber nicht sehr helle, begriff nicht gleich und machte ein Wiederholen des Kommandos in schärferem Ton erforderlich.

In diesem Moment erschien der Erste Offizier aus dem Kartenraum, wo er eine Peilung in die Seekarte eingetragen hatte. Im Glauben, dass es sich bei dem „let go“ um den Anker handelte, gab er das Kommando auf die Back an den Dritten Offizier weiter. Der Backbord-Anker, schon klar zum Fallen aber noch nicht ausgehievt, wurde unverzüglich geworfen. Die Zugkraft des Ankers bei voller Revierfahrt erwies sich für die Ankerwindenbremse als zu stark, so dass die gesamte Backbord-Ankerkette mitsamt dem Haltebolzen aus dem Kettenkasten ausrauschte. Ich fürchte, dass der Schaden im Kettenkasten recht umfangreich sein wird.

Die Bremswirkung des Backbordankers ließ das Schiff nun natürlich zu dieser Seite ausscheren, genau auf eine Drehbrücke zu, die einen Nebenarm des Flusses überspannte, den wir aufwärts fuhren.
Der Brückenwärter reagierte mit großer Geistesgegenwart, indem er die Brücke für mein Schiff sofort öffnete. Unglücklicherweise hatte er dabei nicht daran gedacht, vorher den Straßenverkehr zu stoppen. Infolgedessen warf uns die halb geöffnete Brücke einen Volkswagen, zwei Radfahrer und einen Viehtransporter auf das Vorschiff. Meine Crew ist momentan dabei, den Inhalt letzteren Fahrzeuges einzufangen, wobei es sich dem Lärm nach um Schweine handeln dürfte.

Bei einem weiteren Versuch, die Vorausfahrt des Schiffes zu stoppen, warf der Dritte Offizier auch noch den Steuerbord-Anker. Das war jedoch zu spät, um noch von praktischem Nutzen zu sein, denn der Anker fiel auf das Kontrollhäuschen des Brückenwärters.

Natürlich hatte ich, nachdem der Backbord-Anker gefallen war, mit dem Maschinentelegraphen zweimal „voll zurück“ gegeben und rief selber noch in der Maschine an, um maximale Rückwärtsumdrehungen zu bekommen. Dass ich zunächst völlig missverstanden wurde, könnte am Maschinenlärm gelegen haben, denn man antwortete mir daraufhin, dass die Wassertemperatur 11 Grad sei und fragte zurück, ob heute Abend eine Filmvorführung stattfände. Meine Antwort darauf gäbe diesem Bericht keine konstruktive Ergänzung.

Bisher habe ich meine Ausführungen nur auf die Ereignisse auf dem Vorschiff beschränkt. Auf dem Achterschiff hingegen gab es Probleme eigener Art.

Nachdem der Backbord-Anker gefallen war, beaufsichtigte der Zweite Offizier gerade das Festmachen des Achterschleppers und fierte ihm die Schleppleine hinunter.
Durch die plötzliche Bremswirkung des Ankers lief der Schlepper voll in das Heck meines Schiffes hinein, und zwar gerade in dem Moment, als die Schraube auf doppelte Kraft zurück ansprang. Die reaktionsschnelle Handlungsweise des Zweiten Offiziers, die Schleppleine sofort belegen zu lassen, verzögerte das Sinken des Schleppers um einige Minuten, die jedoch ausreichten, um der Schlepperbesatzung noch ein sicheres Verlassen ihres Schiffes zu ermöglichen.

Sonderbar war, dass im selben Augenblick, als der Backbord-Anker fiel, an Land auch das Licht ausging! Die Tatsache, dass wir gerade ein Seekabelgebiet überfuhren, lässt die Vermutung zu, dass wir auf dem Flussbett irgend etwas berührt haben könnten.

Es ist wohl ein Glück zu nennen, dass die Hochspannungsleitung, die wir mit dem Vormast herunterrissen, keinen Strom führte, weil sie wahrscheinlich durch das Unterwasserkabel ersetzt worden war. Aber aufgrund des Stromausfalls an Land konnten wir nicht mehr erkennen, wohin der Hochspannungsmast fiel.

Es erstaunt mich immer wieder, wie unterschiedlich sich Fremde in Augenblicken kleinerer Missgeschicke verhalten. Der Lotse z. B. kauert zur Zeit noch in einer Ecke des Kartenraumes und jammert vor sich hin, nachdem er in rekordverdächti-ger Zeit eine Flasche Gin geleert hatte.Der Schlepperkapitän andererseits reagierte ausfallend und gewalttätig und
musste vom Steward im Schiffshospital in Handschellen gelegt werden, wo er nicht aufhört mir zu drohen, alle unmöglichen Sachen mit meinem Schiff und meiner Person machen zu wollen.
Von den Fahrzeugen auf unserem Vorschiff füge ich die Namen und die Versiche-rungen bei, die der Dritte Offizier nach seinem übereilten Verlassen der Back eingeholt hat. Diese Angaben werden Ihnen die Möglichkeit erleichtern, dort Schadenersatzansprüche anzumelden wegen der von den Fahrzeugen verursach-ten Beschädigungen an unserem Lukensüll bei Luke 1.

Ich beende diesen vorläufigen Bericht, denn es fällt mir schwer, mich beim Heulen der Polizeisirenen und deren Blaulichtgefunkel zu konzentrieren.

Es ist betrüblich, sich vorzustellen, dass diese unliebsamen Vorfälle gar nicht passiert wären, wenn der neue Offiziersanwärter bedacht hätte, dass das Hissen einer Lotsenflagge nach Einbruch der Dunkelheit gar nicht notwendig gewesen wäre.




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