Vorderbremse am Iveco

CLOU-FREUNDE

Geschrieben von Joe am 09. Januar 2014 22:22:01:

Ich befinde mich grade im Abenteuer die Bremsbeläge eines Iveco Daily 45.10 BJ 84 zuwechseln, eine einfache Sache an sich. Lest selber, was man dabei alles erlebt (Bebildert als PDF gibts das, wenn das Projekt fertig ist, dann gits auch ein Schritt-für-Schritt Zusammenfassung samt Checklisten und kann damit auch "nachgebaut" werden):

Bericht Instandsetzung der Bremssättel eines 670F auf Iveco 45.10

oder

Wie aus einem einfachen Belagwechsel ein Restaurationsprojekt wurde

Vorwort

Bremsen gehören zu den am meisten sicherheitsrelvanten Bauteilen eines Fahrzeugs. Daher sind alle Arbeiten an den Bremsen sicherheitsrelevante Arbeiten und erfordern fachliche Kompetenz, entsprechendes Werkzeug und die ehrliche Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten. Im Zweifelsfall ist es besser eine qualifizierte Werkstatt zu beauftragen. Alle Angaben nach bestem Wissen, aber ohne Gewähr!

Diese Arbeitsanweisungen können unter Umständen bei fehlerhafter Ausführung zu erheblichen Folgeschäden führen. Es wird daher ausdrücklich jede Haftung für die Arbeitsanweisungen ausgeschlossen. Der Ausführende trägt immer das alleinige und uneingeschränkte Risiko.

Dies ist keine Arbeitsanleitung für den Laien!


Motivation

Warum begibt man sich daran die Bremsen komplett zu zerlegen? Hier begann es ganz unspektakulär: Quitschen vorne rechts. Machen Bremsen ab und zu, also erst mal geflissentlich ignorieren. Das Geräusch kam und ging, 12.000 km lang. Und dann kam das Verschleiß-Warn-Licht dazu. Nun gut, Handlungsbedarf also. Scheiben sahen noch gut aus, also Beläge wechseln. Kein Hexenwerk. Heute, da ich das niederschreibe bin ich allerdings schlauer.... aber lest selbst.

Typbestimmung der Bremse

war ganz einfach: hinten, unten auf dem Bremssattel steht es, wegen Korrosion natürlich erst kaum lesbar, aber mit Drahtbürste kam dann PERROT zum Vorschein. Gut, Perrot also und keine ATE, oder Brembo – die gibt’s nämlich auch.

Ersatzteilbeschaffung

war ungewöhnlich einfach. Belagssatz für 34€+5€Versand. Bestellt – geliefert. Gut!

Und los...

Aufbocken mit 4t Wagenheber, Stütze drunter (nicht lachen: die Pflastersteine sind dafür klasse). Große Schlagschrauber-Nuss, SW 27, E-Schlagschrauber, 6x angesetzt, 6x kein Problem, fein so kann es weitergehen. Rad runter, Bremse inspiziert. Erstmal Bremsbelag aussen. Huch, noch 80% Belag drauf. Gleich mal innen schauen – Belag bis auf weniger als 1mm runter. Na klasse, da ist der Wurm drin, offensichtlich. Mal gucken.

Also weiter wie üblich: Stift für die Flachfelder ziehen, denn bei der Perrot können die Beläge gewechselt werden, ohne Scheibe und/oder Sattel aus- und abzubauen. Satz mit X, das war nix. Irgend ein Werkstattpfuscher hat da den originalen Federstift durch was massives ersetzt, das war's. Der ist zu Dick und lässt sich nicht mehr durch das Loch schieben wie ursprünglich vorgesehen. Da kommt man nur noch dran, wenn man den Bremssattel ausbaut oder auftrennt. Bei letzterem muss halt hinterher neu entlüftet werden. Lästig, also Bremssattel abbauen. Sollte ja schnell gehen.

Falsch gedacht. Der Bremssattel ist mit einer SW 22 oben und einer SW 24 unten befestigt. Selbst der 600Nm Schlagschrauber verzweifelt. So ein Ärger. Also doch Sattel trennen, dann kann ich beim Zusammenbau auch gleich den Stift wieder so ersetzten, dass er wieder ausbaubar ist. Da bastel ich mir was schönes. Entlüften ist zwar lästig, aber sei's drum.

Also los, Wanne darunter stellen (wenn ich da aufmache kommt Bremsflüssigkeit, und zwar eine Menge, ca. 0,25 Liter) Schlagschrauber, 17er Nuss, die jeweils äussere Schraube. Je 30-40 Schläge und raus sind beide. Dann als also 19er Nuss, die Inneren Schrauben. Nicht ganz so flott, je 100-120 Schläge und die beiden kommen.

Noch ein leichtes Klopfen an den äusseren Sattel und er fällt mir fast freiwillig in die Hände, der Belag fällt auch raus. Die Bremsflüssigkeit läuft ganz langsam aus. So soll's gehen. Gleich die beiden Zylinder zurück drücken (Flüssigkeit in die Wanne!). Butterweich. Yesss! Hier liegt er Fehler also nicht.

Innerer Bremsbelag. Jetzt geht’s los, da ruckt garnichts. Ausbau: Fehlanzeige. Also lose klopfen. Unten 2-3 mal gegen getippt mit einem 1kg Hammer und es fängt das „nackln“ an. Fein. Schraubendreher, unteren Kolben zurück drücken, auch Butterweich. Aber oben, der Kolben klemmt den Belag noch immer bombenfest und weicht keinen Millimeter. Schraubendreher (von der billigen Sorte, für sowas nehme ich die Guten nicht her) verbogen... also Brecheisen, der muss zurück, ich will da dran. Das Brecheisen machts, aber der Kolben geht so schwer zurück, das ich bezweifle, dass der noch OK ist. Da muss ich also auch ran. Jetzt ist aber klar, warum der innere Belag fertig ist. Die Bremse hat einfach nicht mehr richtig auf gemacht.

Um aber den Kolben auszubauen muss entweder der Sattel ab (Problem siehe oben) oder die Scheibe runter. Ich entscheide mich also für Scheibe runter. Dazu also die 6 Schrauben auf, und weil ich schon dabei war, auch die 3 der Lagerabdeckung, damit ich diese nicht versehentlich verbiege. Dazu sollt man jetzt wissen,dass die Scheibe auf die Nabe aufgepresst ist. Also Abzieher angesetzt, kräftig gespannt, nichts rührt sich. Kennt man ja, also Klopfen. Kräftig, aber ohne die Scheibe zu verdengeln. Nichts rührt sich. Also Schweißbrenner, heiß machen. Eingeheizt bis das Lagerfett sachte zu Qualmen anfängt (spätestens jetzt ist aufhören angesagt, sonst darf ich die Lager auch noch machen... keine Lust dazu). Nichts rührt sich, also Abzieher noch kräftiger anspannen. Dann tut's 'nen Schlag und …. der Abzieher springt ab. Ein gutes Zeichen? Scheibe locker? Fehlanzeige, schon wieder. Also Abzieher erneut ansetzen. Warum, zur Hölle, lässt sich der jetzt nicht mehr grade ansetzen????

Die Werkzeugfrage

Abzieher verbogen? Abzieher verbogen! Verflucht. Werkzeug kaputt. Nicht das es schade um den Abzieher ist, war ein billiger 20 (oder so) Mark Artikel von anno dazumal. Endlich ein Grund bei der „Regierung“ einen BEGRÜNDETEN Antrag für ordentliches Werkzeug stellen zu können. Überraschung, die Argumentationskette Bremse – Sicherheit – Werkstattkostenersparnis – ordentliches Werkzeug verschafft mir fast widerstandslos ein extra Budget aus dem Haushaltsfonds. Das möchte nun ordentlich angelegt sein. Meine Wahl fällt auf einen Hydraulischen 10 Tonnen Abzieher für's Grobe und 3 kleine, billige im Set für die „üblichen“ klein-klein Dinge. Und da das Budget noch nicht ganz ausgeschöpft ist reicht's auch noch für einen extra Werkzeugwunsch. *Freu*

Weiter geht's

Während also auf die Lieferung gewartet wird, zerlege ich den äussern Bremssattelteil ganz. Zudem entscheide ich, wegen der groben Behandlung sicherheitshalber neue Bremsscheiben einzusetzen und suche den Reparatursatz (Dichtungssatz) für den Bremssattel. Da gibt’s für den Iveco Daily 45.10 Sätze für 42mm und 44mm Kolben. Also mal schnell messen: Kolben 42mm. Scheiben bestellt, je 42€ und Dichtsatz für rechts und links zusammen 40€. Den Federstift finde ich nicht. Also immer noch selber machen. Im Baumarkt 4mm Edelstahl Gewindestange und ein 6mm Mantelrohr besorgt. Edelstahlmuttern 4mm und Unterlegscheiben habe ich im Fundus. Das wird passen und nie wieder festrosten.

Nachdem der neue Abzieher (aus Kostengründen online beschafft) nach 3 Tagen ankommt, bin ich dann doch baff: Der 10 Tonnen Abzieher ist ein wahres Monster, sah auf den Bilder viel zierlicher aus. Aber egal, ist eh' für's Grobe. Also zusammenbauen und ran an die Bremsscheibe. Nach dem Ansetzen, noch 3-4 mal Pumpen und es knackt brutal. Schrecksekunde, was ist jetzt kaputt gegangen? Aber falsch gedacht, nichts ist kaputt. Die Scheibe hat sich den ersten Millimeter bewegt. Weiterpumpen, es knackt noch 3 oder 4 mal, dann ist die Scheibe runter, und der Abzieher hat sich noch nicht mal ernsthaft anstrengen müssen. Bleibt mir nur ein breites Grinsen. Allerdings weiss ich jetzt auch warum die Scheibe so fest saß. Der letzte Scheibenwechsel war auch sehr gepfuscht, die Scheibe wurde seinerzeit einfach auf die Nabe gepresst, ohne die Nabe vorher zu reinigen. Dass musste festsitzen. Was war das nur für eine Pfuscherwerkstatt (des Vorbesitzers).

Nachdem nun auch das Wetter regnerisch (von +10 und Sonne auf +4 und Regen) wird (es ist immerhin Januar), und ich wegen der Abzieher-Sache glaube grade einen „Lauf“ zu haben, und weil ich den inneren Bremssattel auch nicht draussen restaurieren will (stellt sich später als die richtige Entscheidung heraus), entschließe ich mich noch einen Versuch zu machen, den inneren Bremssattel loszuschrauben. Also den längsten 24er Ringschlüssel gesucht, angesetzt und … ziehen bis das Wasser kommt, kommt auch, allerdings nur mein Schweiß, da zuckt nichts. Also wieder mit dem Schneidbrenner anheizen, bis etwa 350° traue ich mich. Und ziehen, ziehen, ziehen. Nix, garnix.

Nochmal Schlagschrauber angesetzt, 600Nm, auch vergeigt.

Verzeiflungstat: Schlüssel auf Schraube, am anderen Ende Wagenheber drunter, aufpumpen, aufpumpen, aufpumpen. Jetzt ist es mir wurscht, entweder reisst die Schraube ab oder der Schlüssel bricht. Die abgerissene Schraube wäre mir lieber, die kann ich ausbohren...

Und wieder scheppert's, der Schraubenschlüssel springt ab. Ich denke schon jetzt hat's den zerrissen, aber falsch, der Ring ist unversehrt. Also Schraube ab? Schnell und gedankenlos hingetastet. Brutzel, Au!!! Heiss!!! Schraube aber noch da. Und 'ne Brandblase gibt’s jetzt auch noch. Also nochmal von vorn. Schraubenschlüssel angesetzt, Wagenheber drunter, pumpen, pumpen und pumpen, es beginnt zu knarren und die Schraube beginnt sich endlich zu drehen. Jetzt geht’s auch ohne Wagenheber. Kurz drauf der Erfolg, die Schraube ist raus.

Hier zahlt sich gutes Werkzeug aus, ein Hoch auf den hochwertigen CrV-Schlüssel und auch auf die stabil vergütete 10.9 Schraube.

Davon ermutigt will ich das gleiche Verfahren an der oberen Schraube ansetzen, also längsten Ringschlüssel SW22 gesucht und los. Erst ohne aufheizen, Fehlanzeige. Schlüssel mit dem Wagenheber schön gespannt und anheizen. Auch hier springt dann der Schlüssel nach einiger Zeit ab, und die Schraube lässt sich jetzt mit dem Schlüssel von Hand drehen. Hin gelangt hab ich aber nicht mehr, manchmal lernt selbst der älteste Hund noch dazu.

Dann noch die Bremsleitung ab (Klauenschlüssel SW15). Kein Problem. Nur immer den Bremssattel mit drehen, damit die die Leitung nicht verdreht wird (die ist nämlich noch nicht so alt, und soll daher erhalten bleiben). Fertig.

Ich verkneife mir einen Freudentanz, aber zumute ist mir danach. Widerstand ist zwecklos. Ich bin ein Borg! Unimatrix Zero.

Blöd gelaufen

Inzwischen ist dann auch die Post gekommen, mit den Bremsscheiben und auch mit dem Dichtungssatz. Ich fange also an, auch die inneren Sattelhälfte vollkommen zu zerlegen. Der eine (untere) Kolben kommt quasi freiwillig raus, für den anderen brauche ich dann fast eine Stunde, der sitzt sooooo fest. Jetzt noch alle Dichtringe raus und alle Nippel raus drehen. Während nun die abgestrippten Bremssättel und die Kolben in die erste Reinigungslauge zum einweichen kommen (Benzin), sortiere ich die alten Teile, für welche ich neue besorgt habe. Aber Stopp! Schon beim ersten Neuteil, einem Kolbendichtring stimmt was nicht, der neue sieht kleiner aus. Kleiner?

Ich lege also den neuen Dichtring auf den alten. Kleiner! Viel kleiner! Aber ich hab doch gemessen. Die alte Weissheit: Wer (mal schnell) misst, misst Mist. Ich hole also einen Kolben aus der Reinigungslösung und messe erneut: 44mm. WTF 44mm? Warum ist der jetzt größer? Ich hole alle Kolben raus, messe jeden einzelnen, alle haben 44mm. Wie bin ich nur auf 42mm gekommen? Falsch assimiliert, bin wohl doch kein Borg. Egal, neue Dichtungen müssen her. Vielleicht kann ja einer aus dem Forum die beiden 42er Sätze brauchen...

Zudem ist bei 2 Kolben die Vernickelung stark beschädigt. Weiterverwendung wenig sinnhalting, nur im Notfall. Also Dichtsatz suchen, Kolben suchen. Fündig geworden, 4 Kolben plus vollständiger Dichtsatz für einen Bremssattel mit 44mm Kolben für 36,90 Euro inkl. Versand in der Bucht. 2x zugeschlagen.

Reinigung

Während ich also erneut auf die Post warte, kommen die Bremssättel noch in Seifenlauge und werden dann mit Stahlschwamm vom groben Schmutz gereinigt. Allerdings darf mir der Stahlschwamm nicht an die Kolbentöpfchen. Hier kommt dann der (nicht originale) Dremel mit einer feinen Edelstahlbürste dran, der darf aber nur im rostigen Bereich oberhalb des Nut für den Dichtringes ran. Unterhalb vom Dichtring ist sowieso alles gut. Da reicht einfach gründlich auswischen, vor allem in den Kanten.

Nach der Entrostung wird noch vorsichtig feingeschliffen und grob poliert. Ausserdem wird der Ring des Töpfchens oben und aussen noch blank bearbeitet. Beim Rest des Bremssattels belasse ich es bei der groben Reinigung denn das sieht nach den 30 Jahren Betrieb immer noch sehr gut aus. Neu Lackieren will ich ihn eh nicht, Sandstrahlen ist mir zuviel Aktion und ich müsste doch lackieren. Ausserdem würde der sowieso wieder versiffen und so bleibt die originale Lack- und Phosphatschicht wenigstens intakt und der Rest-Dreck (ist eh nicht mehr viel) schützt im Zweifelsfall auch. Bis die neuen Teile kommen werden die Töpfchen und der Ring oben und aussen, sowie die Kontaktflächen, also alles was blank ist, noch zärtlich und sparsam mit Vasiline eingeschmiert, damit derweil nichts rostet.

Wenn jetzt schon alles neu kommt, werde ich auch die Schrauben alle ersetzen. Morgen geht’s zum besten Schraubenladen der Welt, was der nicht hat oder besorgen kann, das gibt es nicht.

-- Weiter geht es nächste Woche --



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